Tilly Keiser ist eine der weitgehend unbekannt gebliebenen Basler
Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts. Ihr Nachlass kam als «Beifang» des Nachlasses von
Max Kämpf 2021 in das Archiv Regionaler Künstler*innen-Nachlässe ARK Basel und wird
seither von diesem betreut.
>> Direkt zu ARK Basels Dokumentation zu Tilly Keiser
Biografie
Tilly (Ottilia Notta) Keiser wird 1921 in Liestal als Tochter von Lina Keiser-Schleicher und
Malermeister Arthur Keiser geboren. Ihr Vater, ein angesehener Malermeister, ermutigte sie
schon als junges Mädchen zu malen. 1935 reicht Tilly als 14-jährige unter dem Namen ihres
gelegentlich auch künstlerisch malenden Vaters ein Bild in die Weihnachtsaustellung der
Basler Kunsthalle ein das auch tatsächlich von der Jury angenommen und von der
Basellandschaftlichen Kunstsammlung angekauft wird! Ab ihrem 18. Altersjahr malt Tilly
Keiser für das Liestaler Kino «Uhu» regelmässig grossformatige Plakate. 1940 stirbt der
verehrte Vater – Tilly verliert den Boden unter ihren Füssen. Die Mutter wirft nach dem Tod
ihres Gatten sämtliche Malutensilien der Tochter weg und verfügt − damit diese «etwas
Rechtes» lerne – eine Sekretärinnenausbildung. 1945 flüchtet Tilly in eine Ehe mit Raymond
Chobaz (senior). 1947 kommt Sohn Raymond Chobaz (junior) auf die Welt. Die Ehe ist
unglücklich. Raymond Chobaz junior, der seine Mutter als «trotzige Träumerin» bezeichnet,
erinnert sich, dass sie eines Nachts aus Wut gegen ihren damals noch kunstunverständigen
Mann ganze Stösse von Studien und Zeichnungen zerreisst.
Um 1960 entwickelt sich eine intensive Freundschaft mit Max Kämpf (1912- 1982), die bis zu
seinem Tod hält. 1973, 1975 und 1980 reisen Keiser und Kämpf monatelang durch Amerika.
Bei der letzten USA-Reise ist Kämpf schon schwer krank. Tilly pflegt den bettlägerigen
Freund über drei Jahre, dieser stirbt 1982 in ihren Armen. Keiser erbt sein Lebenswerk und
inventarisiert es. Sein Tod macht ihr sehr zu schaffen, sie malt den sterbenden und toten
Freund aus der Erinnerung und fällt erneut in schwere Depressionen. Ihre Malerei blüht
dennoch auf, wird bewegter und farbiger. Keiser stellt selten aus, und setzt ihre Preise
zunehmend so hoch an, dass sie nichts verkauft: Sie wollte sich nicht von ihren Bildern
trennen.
2001 stirbt Tilly Keiser. Esther und Werner Leupin zeigen 2004 in ihrer Liestaler
«Kulturscheune» ihre Werke. Die Retrospektive ist ihre erste und bisher einzige
Einzelausstellung. 2021 übergibt Raymond Chobaz den Nachlass seiner Mutter dem Archiv
regionaler Künstler*innen-Nachlässe ARK, welches ihr Lebenswerk im Herbst 2023
präsentiert. Zur Ausstellung erscheint als zweiter Band der Reihe «Essenzen» das Buch
«Tilly Keiser - Trotzig / Träumend». Zwei grössere Bildstrecken rahmen das Buch: Sie
zeigen die besten Reisebilder aus Marokko und den USA sowie die ergreifendsten Porträts
der Künstlerin. Ein Essay von Friederike Kretzen befragt die künstlerischen, kulturellen und
gendertypischen Bedingungen von Tilly Keisers Leben und Werk. Andreas Chiquet stellt
reich illustriert die Biografie der Künstlerin dar. Hansmartin Siegrist steuert einen Beitrag über
Tilly Keiser als Kinoplakat-Malerin bei. Ein letzter Text von Invar-Torre Hollaus situiert ihr
Schaffen im kunsthistorischen Kontext, innerhalb der Basler Graumaler und im Besonderen
gegenüber dem Werk ihres Freundes Max Kämpf.
Tilly Keiser zeigt sich ein für das 20. Jh. typisches Frauenschicksal. Sie bleibt im
Hintergrund und entwickelt nicht das nötige Selbstbewusstsein oder die Ambition, sich als
ernstzunehmende Künstlerin in der Öffentlichkeit zu zeigen. Über die exemplarischen
Lebensumstände hinaus ist es jedoch primär die Qualität von Tilly Keisers Schaffens, welche
eine umfangreiche Auseinandersetzung mit ihrem Leben und Werk rechtfertigt. Tilly Keisers
Bilder offenbaren eine existentielle Dringlichkeit, ihre ebenso sichere wie freie Malerei ist
geprägt von einem vibrierenden Temperament. Die Malerei ermöglichte ihr seelisches
Überleben: Darum konnte sie sich kaum von ihren Bildern trennen.