Das Selbstporträt im roten Mantel ist eines der letzten Bilder, das Tilly Keiser gemalt hat. Mit herausforderndem, fast trotzigem Blick schaut sie zurück auf ihr Leben als junge Mutter. Der Mantel verleiht ihr die Aura einer Diva, die Augen gehen schräg nach oben ins Reich der Träume. Das Werk drückt eine Spannung aus, die Tilly Keisers ganzes Leben durchzieht. Sie ist Mutter und Künstlerin, selbstbewusst und innerlich zugleich. Sie besitzt Talent und Ausbildung. Dennoch wirkt sie weitgehend im Verborgenen und sucht nicht die Öffentlichkeit.
Die von Andreas Chiquet, Franziska Hofer und Marc Keller kuratierte Ausstellung «Tilly Keiser (1921–2001): TROTZIG | TRÄUMEND» zeigt an die 200 Werke und spannt einen Bogen von Keisers markanten Frühwerken über die Höhepunkte ihres Oeuvres bis zu den malerisch befreiten Spätwerken. Dem Publikum ist die Künstlerin bereits in der Kämpf-Retrospektive von ARK Basel 2021 begegnet – 21 Jahre hat Tilly Keiser als Lebensfreundin an der Seite des berühmten Basler Malers verbracht. Der Künstlerin nun eine Einzelausstellung zu widmen, weist ihr einen Max Kämpf ebenbürtigen Rang zu.
Der erste Höhepunkt virtuoser Clair-obscur-Malerei zeigt sich in einer nach der Marokkoreise von 1967 entstandenen Werkgruppe: Locker und präzise improvisiert sie Figurenszenen und Porträts von Menschen, denen sie dort begegnet ist. Aus Grautönen und -intervallen entsteht dabei eine dichte Lebendigkeit, die ohne vordergründige Buntheit auskommt.
Die träumerischen USA-Landschaften der 1970er Jahre offenbaren eine neue malerische Methode mit rhythmisch gesetzten Pinselstrichen und lassen sich im Nachhinein auch als Vorspiel der Bilder vom Sterben und Tod Max Kämpfs lesen, der ihr sehr zu schaffen macht. Nichtsdestotrotz blüht ihre Malerei nochmals auf. Keiser befreit sich von der «Basler Graumalerei», ihre Bilder werden bunter und gestisch grosszügiger.
Die Ausstellung zeigt einen Querschnitt durch das Schaffen von Tilly Keiser und spart auch ästhetische Verstiegenheiten nicht aus, welche an die fotografisch erhaltenen Filmplatkate anknüpfen, die sie als Jugendliche für das Liestaler Kino UHU malt.
Dass die später akzentuiert im Privaten wirkende Künstlerin im Jugend-
alter die Öffentlichkeit nicht scheute, ist dem erwähnten Widerspruch geschuldet, der nicht ungewöhnlich ist für ihre Zeit. Der dokumentarische Nachlass legt die biografischen und gesellschaftlichen Bedingungen dafür frei. Zum einen konnte es sich Keiser dank des Einkommens ihres Mannes leisten, ohne Anerkennung zu arbeiten. Zum andern musste sie fortwährend – vom Familienleben beeinträchtigt – im Wohnzimmer an der Güterstrasse malen. Den Grund für dieses «Frauenschicksal» allein in den traditionellen Geschlechterzuschreibungen zu suchen, greift jedoch zu kurz. Tilly Keiser hat einen eigenwilligen Charakter. Trotzig hält sie an ihrem Traum, Künstlerin zu sein, fest. Trotzig weigert sie sich aber auch, ihre Bilder auszustellen oder zu verkaufen. Erst durch die Begegnung mit Max Kämpf gewinnt ihr Traum eine neue Gestalt. Obwohl sie sich künstlerisch nahestanden, zeugt ihr Werk von einer unabhängige Qualität und Entwicklung. Von Tilly Keiser kann man heute nicht sprechen, ohne auch über Kämpf zu reden – ein Hinweis auf die tiefe Verbundenheit und auf die geschlechterspezifischen Bedingungen von Künstlerinnenexistenzen.
Für Bildmaterial wenden Sie sich bitte an:
Veranstaltungen
Projektraum M54
Mörsbergerstrasse 54
4057 Basel
Weitere Details und Infos finden Sie auf dem Flyer zur Ausstellung.
bz, 21.10.2023
BaZ online, 21.10.2023